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Viele Menschen haben den Wunsch, nachhaltig gefangenen Fisch zu kaufen. Bewusst entscheiden sie sich für MSC-zertifizierten Fisch, denn ihnen wird suggeriert, dass sie mit ihrem Kauf etwas Gutes für die Meere tun.
Doch die Standards des MSC-Siegels sind – trotz jüngsten Nachbesserungen – nicht ausreichend, um einen umweltfreundlichen Konsum zu ermöglichen. Hinzu kommt, dass selbst diese zu niedrigen Standards häufig nicht eingehalten werden, da Kontrollen nur selten stattfinden.
Greenwashing erleichtert Plünderung der Meere
Der 1997 gegründete MSC (Marine Stewardship Council) ist eine Organisation, die mit ihrem Siegel nachhaltig gefangenen Fisch kennzeichnen will. Aktuell (Stand Okt 2024) sind fast 680 Fischereien weltweit MSC-zertifiziert, das sind 16 Prozent der Meeresfischereien. Die Organisation kündigte 2017 an, dass sie den Marktanteil bis 2030 auf mehr als 33 Prozent anheben möchte. Angesichts der schrumpfenden Meeresfischbestände stellt sich die Frage: Wie glaubwürdig ist das MSC, das mit Fotos kleiner Fischerboote wirbt, aber v.a. industrielle Fischerei zertifiziert?
MSC lässt Fangmethoden zu, die für die Ökosysteme extrem zerstörerisch sind und hohe Beifangquoten in Kauf nehmen. Außerdem haben in den vergangenen Jahren wiederholt auch fragwürdige Fischereibetriebe das MSC-Siegel erhalten:
- Grundschleppnetze sind eine Fangtechnik, die die bodennahe Biomasse bereits um mehr als 50 Prozent reduziert hat und den Meeresboden regelrecht umpflügt. Dennoch sind (Stand Okt 2024) 71 Fischereien, die Grundschleppnetze einsetzen, MSC-zertifiziert, darunter Heilbutt und Krabben in der Nordsee, Springkrebse in Chile oder Seehechte in Namibia.
- Die Grundschleppnetzfischerei, hat hohe und noch immer steigende Beifangquoten für den vom Aussterben bedrohten Salvins-Albatros. Dennoch wurde 2001 der Neuseeländische Langschwanz-Seehecht (Hoki) MSC-zertifiziert – der mit Grundschleppnetzen gefangen wird. Die Zertifizierung wurde mehrfach verlängert und ist bis heute gültig.
- Eine Stellnetz-Fischerei in Norwegen sammelt den Laich von Seehasen. Hierzu wird den Weibchen der Bauch aufgeschnitten, der Laich eingesammelt und der Körper ungenutzt verworfen – obwohl er als Speisefisch durchaus taugen würde. Stellnetze haben zudem hohe Beifangraten, z.B. von Seevögeln. Dennoch wurde dieser Fischerei im Oktober 2017 das MSC-Siegel verliehen.
- Bereits erteilte MSC-Zertifikate für z.B. Schwertfisch-Langleinenfischerei in Kanada (bei der pro Schwertfisch bis zu vier Blauhaie als Beifang sterben) oder für Ringwadenfischerei in Mexiko wurden erst nach massivem öffentlichen Druck zurückgezogen.
- 2021 entzog MSC seine Zertifikate auf Heringsfischereien in der Nordsee – nur um wenige Monate später eine Ausnahmeregelung für industrielle Fangschiffe zu erteilen, die vor allem Tierfutter produzieren. Der WWF, selbst Mitbegründer des MSC, legte daraufhin Beschwerde beim MSC ein.
- Bis 2020 war das Abtrennen von Haiflossen kein KO-Kriterium für MSC-zertifizierte Fischereien – und das, obwohl die sog. „fins naturally attached“ Policy schon längst als essentiell für den Schutz von Haien angesehen war und in der EU seit 2013 sogar gesetzlich verankert ist. 2020 gab MSC seine neuen Standards bekannt: Immerhin ist nun zumindest das Hai-Finning verboten – doch die Vorgaben zur Überwachung sind unzureichend, um dies sicherzustellen.
Dutzende MSC-Siegel für umstrittene Ringwandfischerei
Delfine sind oft gemeinsam mit Thunfischen anzutreffen – dieser Umstand wird in der Ringwadenfischerei ausgenutzt, wo die Fischernetze gezielt um eine solche Ansammlung platziert und dann eingeholt werden. Obwohl Tausende Delfine jährlich allein durch diese Fischereimethode sterben, ist sie bis heute nicht für MSC-Fischereien verboten; ingsesamt 33 solcher Fischereien tragen derzeit das MSC-Siegel. Stattdessen wurde bei der Überarbeitung der MSC-Standards 2022 ein geplanter Passus wieder gestrichen, der ein gezieltes Einkreisen von Delfinen in der Ringwadenfischerei komplett verboten hätte.
Für starke Kritik sorgte auch die MSC-Zertifizierung des spanischen Fischereikonzerns Echebastar: Bei dessen Fang von Bonito im indischen Ozean kommt es häufig zum Beifang von Seidenhai, weißem Seehund und Gelbflossenthun. Beispielsweise sterben etwa 4.000 Seidenhaie jährlich in den Netzen von Echebastar. Dennoch vergab das MSC im Mai 2018 die Zertifizierung – aller Kritik von Artenschutzorganisationen zum Trotz. Nur ein schwacher Trost ist dabei, dass drei weitere Zertifizierungs-Anträge von Echebastar erfolglos blieben…
Neue MSC-Standards noch immer unzureichend
Etliche Organisationen, darunter Pro Wildlife und SharkProject, machen seit Jahren Druck auf die Zertifizierungsorganisation und fordern umfassende Nachbesserungen, z.B. den Ausschluss aller Fischereien von einer MSC-Zertifizierung, die einen gewissen Prozentsatz an Beifang übersteigen, von denen Hai-Finning praktiziert wird oder die Delfine als Lokalisierungshilfe für Fische nutzen und sie gezielt einkreisen (s.o. Ringwadenfischerei).
Das Update für die MSC-Standards wurde 2022 abgeschlossen. Darin sind jedoch nur wenige der genannten Forderungen umgesetzt worden – entsprechend kritisch beurteilt das Bündnis Make Stewardship Count, dem auch Pro Wildlife angehört, die Neuerungen:
- Selbst hohe Beifangraten bedrohter Arten werden weiterhin toleriert. Zwar will das MSC offiziell Schäden für „bedrohte und geschützte Arten“ geringhalten, doch werden nicht alle Gefährdungskategorien überhaupt berücksichtigt (der „Vulnerable“-Status in der Roten Liste fehlt) – und selbst für besonders bedrohte Arten sind Ausnahmen vorgesehen.
- Auch die neuen Standards erlauben weiterhin Schleppnetzfischerei sogar in ökologisch besonders empfindlichen Ökosystemen. Die Schädigung des Meeresbodens muss lediglich binnen 10 Jahren reversibel sein.
- Das Abtrennen von Haiflossen an Bord ist endlich auch unter MSC verboten – aber die Vorgaben zur Überwachung sind zu vage, um dies sicherzustellen.
- Auf 30% der Schiffe mit hohen Risiken des Beifangs gefährdeter Arten sollen unabhängige Beobachter an Bord sein, um die Fischerei zu überwachen – doch dies ist nur eine Empfehlung, kein Pflicht.
- Auch weiterhin bleibt der Zertifizierungsvorgang intransparent: Meeresschutzorganisationen haben keine Einsicht in die Unterlagen, die zur Zertifizierung einer Fischerei führen.
Anfang 2024 gab MSC zudem bekannt, dass bereits zertifizierte Fischereien noch bis 2030 Zeit haben, um die neuen (ohnehin zu schwachen) Nachhaltigkeitsstandards umzusetzen. Mit dieser Verzögerung, die offenbar auf Druck der Fischerei-Industrie zustande kam, werden bestehende Missstände nochmals zwei Jahre länger geduldet als ursprünglich zugesagt… Für viele Fischarten, die durch den Beifang und Überfischung direkt bedroht sind, wird diese schleppende Umsetzung nicht umkehrbare Folgen haben.
Ökosiegel sind oft nur leere Versprechen
Kunden können also beim Kauf von MSC-Fisch somit auch weiterhin nicht sicher sein, was ihr Kauf für einen ökologischen Kollateralschaden anrichtet. Und neben MSC-Produkten sind auch andere „zertifizierte“ Produkte mit Vorsicht zu genießen. Zum Beispiel wurden auch das Palmöl-Label RSPO und das Aquakultur-Label ASC von Greenpeace bezüglich Transparenz, definierten Standards und Kontrollen als ausschließlich negativ bewertet. Bezeichnend auch, dass Greenpeace im Frühjahr 2018 aus dem FSC (Forest Stewardship Council) ausgestiegen ist. Als vertrauenswürdige Labels wurden zum Beispiel Fairtrade und das V-Label bezeichnet.
Um nicht auf das unübersichtliche Siegel-Dickicht hineinzufallen, empfiehlt es sich, vorwiegend regionale Bio-Produkte einzukaufen. Die wichtigste Botschaft ist ohnehin:
Gütesiegel sind kein Freibrief für grenzen- und gewissenlosen Konsum. Weniger Konsum (sofern man Alternativen hat) muss die Devise sein. Meeresfisch sollte den Ländern vorbehalten bleiben, die auf diese Nahrungsquelle angewiesen sind. Für uns hier in Zentraleuropa gibt es wahrlich genug ökologisch verträgliche Alternativen…
Letztes Update: 8. Oktober 2024