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Über Nacht berühmt: Endlich bekommt die australische Mary-River-Schildkröte die lang benötigte Aufmerksamkeit. Trotzdem ist es für die Art eventuell schon zu spät. Die punkig aussehende Schildkröte, die ausschließlich am namensgebenden Mary-Fluss in Australien vorkommt, ist mittlerweile vom Aussterben bedroht, denn sie wurde zu zigtausenden für den Heimtierhandel eingesammelt. Die Zoologische Gesellschaft von London (ZSL) hat kürzlich die Liste der akut vom Aussterben bedrohten Arten aktualisiert und machte so die australische Schildkröte mit der skurrilen grünen Frisur über Nacht zum traurigen Star.
Ihre Popularität verdankt die Schildkröte ihrem bizarren Aussehen. Auf dem Körper der australischen Schildkröte wachsen grüne Algen und die Tiere können dank spezieller Drüsen an ihrer Kloake bis zu drei Tage unter Wasser bleiben. Doch selbst diese besondere Fähigkeit konnte sie nicht vor der Gier der kommerziellen Tierhändler bewahren. Vor allem in den 1960er und 1970er Jahren plünderten sie die Nester der Mary-River-Schildkröte. Ihre Gutmütigkeit und das bizarre Aussehen machten sie als „Haustier“ sehr begehrt und somit zu einem lukrativen Geschäft.
Welche Vermehrungs-Strategie fährst du so?
Tierhändler entwendeten tausende Eier der Mary-River-Schildkröte, um die Jungtiere auf dem Tiermarkt anzubieten – die Art war so häufig im Handel vertreten, dass sie auch „Penny-Schildkröte“ genannt wurde. Zudem wurde ihr Lebensraum immer stärker beschnitten. Die Population ist so stark zurückgegangen, dass ihn die Mary-River-Schildkröte bis heute nicht ausgleichen konnte. Die Weibchen dieser Art können sich erst mit 25 Jahren fortpflanzen – die Männchen mit 30. Diese späte Geschlechtsreife hat eine geringe Reproduktionsrate zur Folge, wodurch sich die Bestände der Mary-River-Schildkröte bis heute kaum von der intensiven Plünderung der Vergangenheit erholen konnte.
Im Tierreich wird bei den Fortpflanzungsstrategien zwischen K- und R-Strategen unterschieden. R-Strategen, beispielsweise Kaninchen, weisen eine hohe Reproduktionsrate auf und können daher Schwankungen der Populationsgröße und hohen Druck von Fressfeinden leichter ausgleichen. K-Strategen, wie der Mensch, mit wenigen natürlichen Feinden, hingegen zeugen nur wenige Nachkommen und zeigen eine intensive elterliche Fürsorge. Tiere mit dieser Reproduktionsstrategie erholen sich nur schwer oder gar nicht von einer starken Dezimierung der Population.
Die Schönen und die Biester
Warum musste es so weit kommen? Mehr als 20 Jahre lang wurde die Mary-River-Schildkröte in Australien als Haustier gehalten und seit 1970 beobachten Wissenschaftler, dass ihre Zahl deutlich abnimmt. Doch diese Erkenntnisse halfen der bizarr aussehenden Schildkrötenart nicht, denn bei Naturschutzplänen werden meist charismatischere Tierarten wie Koala und Wombat bevorzugt. Noch deutlicher wird die Benachteiligung der „uncharismatischen“ Arten bei einem Blick auf Australiens Erhaltungsstrategien für bedrohte Arten. Denn hier werden nur Säugetiere, Vögel und Pflanzen berücksichtigt – und das, obwohl Australien eine einzigartige und artenreiche Reptilienfauna beherbergt.
Australien ist dabei keine Ausnahme: In einem Großteil aller Länder werden „uncharismatische“ Arten, wie Echsen, Schlangen oder eben auch Schildkröten übersehen, wenn es um das Thema Artenschutz geht. Kuschelige Säugetiere mit großen Knopfaugen oder bunte Vögel sind in der Öffentlichkeit einfach bekannter. So kommt es auch, dass zahlreiche Reptilien- und Amphibienarten ohne große öffentliche Aufmerksamkeit bis zur Ausrottung als Haustiere gehandelt oder für den Fleischmarkt gejagt werden.
Das tut Pro Wildlife
Bereits seit Jahren kämpft Pro Wildlife gegen den Handel mit exotischen Tieren – darunter auch viele weniger populäre, aber dennoch bedrohte Arten. Wir klären die Öffentlichkeit auf und lassen Arten, die durch den Handel bedroht sind, vom Washingtoner Artenschutzabkommen (engl. CITES) unter Schutz stellen – alleine 2016 ging die Listung von circa 60 Arten auf unsere Initiativen zurück. Unter anderem sorgte Pro Wildlife dafür, dass die gesamte Gattung der Baumschleichen (Abronia) mit insgesamt 29 Arten (davon 5 auf Anhang I und 24 auf Anhang II) von CITES gelistet wurde. Zudem ist der Handel mit dem Himmelblauen Zwergtaggecko (Lygodactylus williamsi), beliebt wegen seiner besonderen Färbung, mittlerweile streng verboten.
Doch leider ist der Kampf noch lange nicht gewonnen. Denn der internationale Tierhandel reagiert auf solche Verbote, indem er seine Aufmerksamkeit einfach auf andere Arten verlagert. Der tragische Nachfolger des seit 2016 geschützten Himmelblauen Zwerg-Taggeckos ist der nahverwandte Lygodactylus conraui. Diese Art unterliegt bis jetzt noch keinem Handelsverbot und weist eine mindestens genauso schöne Färbung wie sein nun geschützter Verwandter auf. Die farbenfrohen Pfeilgiftfrösche (Dendrobaten) aus Lateinamerika und Buntfrösche (Mantella) aus Madagaskar wurden nach ihrer CITES-Listung durch Rotaugenlaubfrösche (Agalychnis) ersetzt. Nachdem wir diese 2010 bei CITES schützen lassen konnten, sind aktuell die bizarren, noch ungeschützten Glasfrösche der neueste Schrei…
Daher fordert Pro Wildlife härtere Gesetzte und Strafen beim Handel mit exotischen Tieren, denn es gibt zigtausende von Reptilien- und Amphibienarten und solange der Handel in vielen Bereichen legal ist, ist es unmöglich, sie alle effektiv zu schützen.
Autorin: Katharina Lameter
Veröffentlicht am: 17. April 2018