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Ende April findet im französischen Städtchen Vittel alljährlich das „Fest der Frösche“ statt. Doch was klingt wie eine große Naturschutzveranstaltung zu Gunsten bedrohter Amphibien, ist in Wirklichkeit das krasse Gegenstück: Zum „Foire aux Grenouilles“ kommen vermeintliche Gourmets aus ganz Europa, um drei Tage lang Froschschenkel in allen Variationen zu frönen. Bei reichlich Bier und Wein denkt keiner der Gäste daran, dass er einem Exzess beiwohnt, der riesige Tier- und Artenschutzprobleme verursacht…
Zwischen Gourmet-Tempel und Grillbude
Froschschenkel gelten gemeinhin als Delikatesse. In Edelrestaurants und bei „französischen Wochen“ in Vier-Sterne-Hotels finden sich auch hier in Deutschland Froschschenkel auf der Speisekarte. „À la Creme in Riesling-Sahne“ oder „Froschschenkel auf Espuma vom Knoblauch und Petersilienjus“ für 12 Euro – so heißen die Vorspeisen der Haute Cuisine. In Vittel hingegen herrscht Volksfeststimmung: Holzbuden und Bierzeltgarnituren, die Froschschenkel werden auf Papptellern ausgeteilt. Die Portion für drei Euro, das sind echte Frittenbuden-Preise. Sogar Currypulver zum Nachwürzen steht bereit. Rund 20.000 Gäste konsumieren an diesem Wochenende in Vittel etwa sieben Tonnen Froschschenkel – als Pastete, frittiert, mit Kräutern der Provence oder in Knoblauchsauce: Knapp 350.000 Frösche mussten dafür ihr Leben lassen. Die allermeisten von ihnen stammen aus den Reisfeldern und Tümpeln Indonesiens. Wildfänge, denen die Beine in Akkordarbeit abgehackt werden, der Rest des Körpers wird weggeworfen. Ein grausamer Tod. Die Beinchen werden gehäutet, tiefgefroren und nach Europa gebracht.
Ein grausamer Handel mit ökologischen Folgen
Vittel ist nur der Gipfel eines unfassbaren Konsums: 4.070 Tonnen Froschschenkel importiert die Europäische Union jedes Jahr – das entspricht zwischen 80 und 200 Millionen Fröschen. Bereits in den 1980ern sorgten Froschschenkel für negative Schlagzeilen. Damals waren Bangladesch und Indien die Lieferanten für den Weltmarkt. Mit verheerenden Folgen: Abermillionen Frösche, deren Hauptfutter aus Mücken und anderen Schädlingen besteht, weggefangen. Die natürlichen Insektenvernichter waren fast ausgelöscht. Erst als die Pestizideinsätze in die Höhe schossen und Gesundheitsgefahren für den Menschen drohten, zogen beide Länder die Notbremse und verboten Fang und Export. Das Thema verschwand aus den Schlagzeilen, doch Indonesien nahm still die Rolle des Weltlieferanten ein und der Konsumrausch ging weiter.
Tödlicher Dominoeffekt
Indonesien ist unter Artenschützern nicht gerade für einen aktiven, progressiven Naturschutz bekannt. Ob Korallenfische und Echsen für den exotischen Heimtierhandel, Schlangenhäute für Luxustaschen oder eben Froschschenkel: Indonesiens Ökosysteme werden rücksichtslos geplündert, mit Unterstützung der Regierung. Doch der Raubbau bleibt auch dort nicht ohne Folgen, wie das Beispiel der Frösche zeigt: 2017 belegte eine Studie der Universität Sorbonne in Paris, dass mehr als 98 Prozent der in der EU verkauften Froschschenkel falsch deklariert sind. Die ehemals wegen ihrer langen Beine besonders begehrten Java-Frösche (Limnonectes macrodon) sind inzwischen fast ausgerottet und de facto aus dem Handel nahezu verschwunden; sie werden durch andere großschenklige Froscharten wie den südostasiatischen Reisfrosch (Fejervarya limnocharis) ersetzt.
Nach Bangladesch, Indien und Indonesien gibt es nun auch alarmierende Nachrichten aus der Türkei und Albanien, wo ebenfalls die Froschbestände schwinden. Türkische Feldforscher warnen sogar, ihre größeren Froscharten könnten bereits in zehn Jahren ausgerottet sein, wenn der Raubbau für den europäischen Froschschenkelmarkt weitergeht.
Obwohl unsere Studie „Canapés to Extinction“ schon vor Jahren vor den verheerenden ökologischen Folgen warnte, sahen weder Indonesien noch Frankreich bisher Handlungsbedarf. Pro Wildlife hat sich deshalb Unterstützung geholt: Zusammen mit der französischen Tier- und Artenschutzorganisation Robin des Bois veröffentlichten wir 2022 unseren Bericht „Deadly Dish“, der für weltweite Schlagzeilen sorgte. Gemeinsam fordern wir die französische Regierung und die EU auf, den Froschschenkelhandel endlich zu regulieren. Das nächste Froschfest in Vittel wird davon noch nicht betroffen sein, vermutlich auch das übernächste nicht. Doch wenn die Politik nicht endlich reagiert, könnten die Frösche bald ausgequakt haben…
Autorin: Dr. Sandra Altherr
Veröffentlicht am: 19. April 2018; aktualisiert am 14. März 2023
Weitere Informationen:
- Der Bericht „Canapés to extinction“ von Pro Wildlife dokumentierte 2011 erstmals den Einfluss des internationalen Handels mit Froschschenkeln auf die Ökosysteme: Canapés to extinction (pdf, engl.)
- Tier-, Natur- und Umweltschutzverbände fordern den französischen Umweltminister auf, den Handel mit Froschschenkeln zu regulieren: Verbändebrief an den französischen Umweltminister Hulot (frz. pdf)
- Der neue Bericht „Deadly Dish“ von Pro Wildlife und Robin des Bois (2022) hat für große internationale Aufmerksamkeit gesorgt: Deadly Dish (pdf, engl)