Warum verlässt Japan die IWC?

Piratenwalfang statt „Harpunen für die Wissenschaft“

Warum verlässt Japan die IWC?

Nun also doch: Ausgerechnet an Weihnachten hat Japan seine jahrelange Drohung wahr gemacht und den Austritt aus der Internationalen Walfangkommission (IWC) verkündet. Die Folgen dieser Entscheidung sind vielschichtig, das Timing sehr bemerkenswert. Japans Regierung hat diesen Schritt schon oft angedroht; aber warum verlässt Japan die IWC zum 1. Juli 2019?

Warum gerade jetzt?

Lange Zeit wollte die Regierung in Tokio einen Austritt als Druckmittel nutzen, um bei der Walfangtagung andere Länder verhandlungsbereiter zu machen und doch noch „ein bisschen Küstenwalfang“ zu legalisieren. Dieser Plan ist nicht aufgegangen, das seit 1986 geltende und von Japan gehasste kommerzielle Walfangmoratorium ist noch immer in Kraft. Es wurde gerade erst wieder auf der IWC-Tagung im September 2018 bestätigt. Der vierte große Anlauf, es zu kippen, ist damit gescheitert.

Warum verlässt Japan die IWC? Walfänger © Australian Customs and Border Protection Service
Japanisches Walfangschiff in der Antarktis © Australian Customs and Border Protection Service

Der Zeitpunkt für Tokios Entscheidung ist mit Bedacht gewählt und hat finanzielle und diplomatische Gründe: Internationale Sanktionen sind derzeit kaum zu fürchten. Waren in den 1980er Jahren noch die USA die treibende Kraft bei Sanktionen gegen Walfangländer (so wurde damals Island zum Ende des Walfangs gezwungen), ist unter der Trump-Administration wenig Engagement zu erwarten. Auch Australien, ehemals Speerspitze des Walschutzes, bekleckert sich unter seiner neuen Regierung beim Thema Naturschutz mit wenig Ruhm. Und die Europäische Union? Die hat gerade erst Anfang Dezember ihr Freihandelsabkommen mit Japan ratifiziert, das voraussichtlich im Februar 2019 in Kraft tritt. Entsprechend ist auch aus Brüssel nicht mit Sanktionen zu rechnen. Ohnehin sind alle westlichen Regierungen derzeit im Weihnachtsmodus, dann wird erst einmal Silvester gefeiert – und bis dahin ist die erste öffentliche Empörungswelle sicher abgeebbt…

Die Waljagd in den weit entfernten und harschen Gewässern der Antarktis ist äußerst kostspielig. Das Fabrikschiff Nisshin Maru, seit 1987 im Einsatz, ist marode geworden, von einem Brand beschädigt und müsste dringend ersetzt werden. Eine dreistellige Millioneninvestition. Zu den finanziellen kommen noch juristische Probleme: Der Internationale Gerichtshof in Den Haag hatte 2014 den „Wissenschaftswalfang“ in der Antarktis als unglaubwürdig und illegal bewertet. Eine immense Blamage.

Warum ist Walfang für Japan so wichtig?

In der japanischen Kultur wiegt ein öffentlicher Gesichtsverlust schwer und mit dem Thema Walfang steht Japan seit vielen Jahren in der internationalen Kritik. Den „Wissenschaftswalfang“ hat ihnen eh niemand abgenommen. Wie also aus diesem Dilemma kommen? Japan will um jeden Preis am Walfang festhalten. Nicht weil die Bevölkerung Walfleisch bräuchte. Ganz im Gegenteil mag die jüngere Generation das tranige Zeug gar nicht, Walfleisch ist ein Ladenhüter.

Walfleisch in einem japanischen Supermarkt © S. Powell
Walfleisch in einem japanischen Supermarkt © S. Powell

Nein, Japan sieht im strengen Schutz von Walen einen gefährlichen Präzedenzfall, den es auf Biegen und Brechen beseitigen will: Für Wale gilt bereits ein weltweites Fang- und Handelsverbot. Welche anderen marinen Ressourcen folgen als Nächstes? Haie? Gar der Rote Thunfisch, von denen ein einziges Tier auf den Fischauktionen in Japan bis zu 200.000 USD einbringen kann? Japan will sich den unbegrenzten Zugriff auf die Meere erhalten. > weitere Hintergründe

Welche Folgen hat Japans Austritt aus der IWC?

  1. Japan hat angekündigt, seine umstrittene Waljagd zu angeblichen Forschungszwecken im Antarktis-Schutzgebiet beenden – soweit die gute Nachricht, denn es rettet dort 333 Zwergwalen das Leben. Stattdessen will Japan, nun ganz offiziell und unbehelligt von der IWC, kommerziellen Walfang in seinen Küstengewässern im Nordpazifik beginnen. Offen ist dabei die Frage, ob die kommerzielle Jagd auf Zwerg- und Seiwale beschränkt bleibt oder ob Japan auch andere Arten wie Pottwale ins Visier nimmt.
  2. Mit seiner Ankündigung, künftig nur noch Wale innerhalb der Küstengewässer fangen zu wollen, entzieht sich Japan gleichzeitig drohender Sanktionen durch das Artenschutzabkommen CITES. Japans Seiwaljagd auf hoher See gilt als internationaler Handel – und Japan ist mangels formalem Einspruch zumindest für diese Art an das Handelsverbot gebunden. Nach zweimaliger Verwarnung wären wohl die Sanktionen gegen Japan auf dem nächsten CITES-Treffen im Mai 2019 beschlossen worden.
  3. Japan entzieht sich mit seinem Austritt ganz offiziell dem kommerziellen Walfangverbot der IWC, das seit 1986 in Kraft ist. Damit torpediert Japan einen der wichtigsten Artenschutzerfolge der letzten Jahrzehnte.
  4. Die IWC wird in ihrer Rolle als führendes Gremium in Sachen Walfang und Regulierung geschwächt. Nach Japans Austritt ist damit zu rechnen, dass viele Kleinstaaten aus der Karibik, Afrika und der Südsee folgen, die bislang Tokios Walfang-Interessen unterstützten. Optimisten könnten argumentieren, dass sich die IWC künftig auf mehr Walschutzmaßnahmen konzentrieren könnte, wenn die notorischen Störenfriede wegfielen.
  5. Doch es könnte noch dicker kommen, eine wahre Kettenreaktion gestartet werden: Andere Länder wie Südkorea, China und Russland könnten dem Beispiel Japans folgen. Die Gründung eines offiziellen Clubs von Walfängern ist dann nicht mehr auszuschließen. Was machen dann Norwegen und Island? Verlassen sie dann ebenfalls die IWC? Und verkraftet die IWC den Austritt so vieler Mitglieder finanziell?

Noch lässt sich überhaupt nicht einschätzen, wie viele Wale Japan künftig töten und welche Sogwirkung diese Entscheidung haben wird. Japan provoziert mit seinem provokanten und rücksichtslosen Alleingang die Weltgemeinschaft, indem es eine der wichtigsten Errungenschaften im Artenschutz schwer beschädigt. Wir erwarten von der Europäischen Union – Freihandelsabkommen hin oder her – dass sie nun aktiv wird, sich mit den anderen Ländern koordiniert und alle diplomatischen Möglichkeiten ausschöpft, um den Schaden für die Wale zu minimieren. Frohe Weihnachten sehen jedenfalls anders aus…

Autorin: Dr. Sandra Altherr
Veröffentlicht am: 26. Dezember 2018 (aktualisiert)

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