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Vom 23. bis zum 27. September findet in Lima (Peru) die 69. Tagung der Internationalen Walfangkommission (IWC) statt. Für Pro Wildlife nehmen Dr. Sandra Altherr und Dr. Mona Schweizer teil. Es werden starke Kontroversen erwartet: u.a. liegen wieder Vorstöße auf dem Tisch, das Walfangverbot zu kippen. Hier der Blog von Mona live aus dem Konferenzraum:
Tag 1: Anreise
21.09.2024 – Nach einem langen Flug sind wir heute in den frühen Morgenstunden in Lima gelandet. Da heute noch keine Sitzungen anberaumt waren, nutzten wir den Tag, um mit Kolleg*innen ins Gespräch zu kommen und über die Ausgangslage der diesjährigen Konferenz zu diskutieren. Einige der Resolutionen, die eingereicht wurden, sind durchaus kontrovers und werden die IWC zwingen, Farbe zu bekennen: Wie ernst meint sie es tatsächlich mit dem Schutz der Wale? Oder können die Befürworter des kommerziellen Walfangs einen Sieg erringen und den Walschutz aufweichen?
Die Resolutionen, die zur IWC-69 eingereicht wurden sind:
- Resolution zur Aufrechterhaltung des Walfangmoratoriums
- Resolution zur Nahrungssicherheit
- Resolution zur Aufhebung des Walfangmoratoriums und Entwicklung der Walfangindustrie
- Resolution zur Zusammenarbeit mit der Kommission zur Erhaltung der antarktischen Meeresschätze (CCAMLR)
- Resolution bezüglich Synergien der IWC mit dem UN-Vertrag zum Schutz der Hohen See (BBNJ) und dem Globalen Biodiversitätsrahmen von Kunming-Montréal
Während die beiden letztgenannten Resolutionen die IWC enger mit anderen Biodiversitäts- und Meeresschutzabkommen verzahnen und Schutzbemühungen verstärken soll, zielen die Resolutionen zur Nahrungssicherheit sowie zur Aufhebung des Walfangmoratoriums genau in die entgegengesetzte Richtung. Beide Resolutionen stehen direkt oder indirekt für die Wiedereinführung des kommerziellen Walfangs. Umso wichtiger ist die von der EU eingebrachte Initiative zur Aufrechterhaltung des Walfangmoratoriums. Sowohl das Walschutz- als auch das Walfanglager haben vehemente Vertreter.
Wie die Diskussionen und vor allem auch die potenziellen Abstimmungen über die Resolutionen in den nächsten Tagen ausgehen, hängt nicht nur von der Überzeugung ab, sondern auch von der Stimmberechtigung der Staaten und dem Quorum (benötigte Stimmenanzahl für die Beschlussfähigkeit der IWC) ab. Staaten, die ihre Mitgliedsbeiträge nicht bezahlt haben, dürfen nicht mit abstimmen, und um eine Neuregelung zur Festsetzung eines Quorums wird ebenfalls noch gerungen. Das Quorum ist einer der ersten Tagesordnungspunkte am Montag nach der offiziellen Eröffnung der Konferenz und der erste große Knackpunkt, bevor es überhaupt in die inhaltliche Auseinandersetzung geht.
Wird kein Konsens für eine Neuregelung gefunden, dann können stimmberechtigte Vertreter*innen der Länder vor einer Abstimmung den Saal verlassen und so Abstimmungen platzen lassen. Bei der letzten IWC haben die Pro-Walfang-Länder auf diese Weise ein Walschutzgebiet im Südatlantik verhindert. Und auch der jetzigen IWC droht dieses Szenario erneut. Sowohl auf der organisatorischen als auch der inhaltlichen Ebene ist diesmal nichts vorhersehbar – ein echter Krimi. Und wir setzen uns vor Ort dafür ein, dass dieser Krimi und die Wale ein Happy End bekommen. Es bleibt spannend…
Tag 2: ASW und NGO-Strategie-Meeting
22.09.2024 – Bevor die IWC morgen offiziell eröffnet wird, tagte heute die Arbeitsgruppe zu den Walfangquoten für indigene Gemeinden zur Nahrungsversorgung (Aboriginal Subsistence Whaling – ASW). Im Vorfeld hatte man sich eigentlich von allen Seiten geeinigt, dass die bestehenden Quoten ohne Änderung für die nächsten sechs Jahre verlängert werden sollten. Allerdings zeigte sich, dass das Pro-Walfanglager die Strategie verfolgt, die klaren Grenzen zwischen den Rechten der indigenen Bevölkerung und den kommerziellen Interessen der Walfangnationen aufzuweichen und ihre Resolution zu Nahrungssicherheit in Stellung zu bringen. Speerspitze dieses Vorstoßes sind vor allem die karibischen und teilweise pazifischen Inselstaaten, die ihre Wortbeiträge ganz klar dazu abgestimmt haben und immer wieder insistierten, die Waljagd sei ihr Menschenrecht.
Wie man derartigen absurden Vorstößen begegnet und die wichtigen Resolutionen, wie die Aufrechterhaltung des Walfangmoratoriums unterstützt, wurde anschließend im NGO-Strategie-Meeting besprochen. Auch wenn verschiedene Organisationen teilweise unterschiedliche Herangehensweisen favorisieren, so ist es doch bestärkend, eine so bunte Truppe in dem Ziel vereint zu sehen, Wale besser zu schützen.
Tag 3: Eröffnung des Plenums und Quorum
23.09.2024 – Heute wurde die IWC69 offiziell eröffnet. Der erste wichtige Agenda-Punkt waren die Vorschläge zur Neuregelung des Quorums. Wie erwartet, konnte kein Konsens bezüglich der Vorschläge gefunden werden, weshalb die alte Regelung bestehen blieb. Um zu vermeiden, dass stimmberechtigte Vertreter*innen der Länder vor einer für sie unliebsamen Abstimmung den Saal verlassen und so die entsprechende Abstimmung platzen lassen, entschied der Chair, das Quorum vor jeder Session festzusetzen und alle vorgelegten Resolutionen in einer Session zu verhandeln. Ob der Kniff funktioniert oder das Walfanglager bereit ist, die eigenen Resolutionen zu opfern, um die Resolution zur Aufrechterhaltung des Walfangmoratoriums zu verhindern, wird sich in den nächsten Tagen zeigen.
In der Mittagspause hatten die NGOs die Möglichkeit, sich mit den Delegierten der EU auszutauschen und ihre Anliegen u.a. bezüglich der Resolutionen vorzubringen. Diese Treffen dienen auch der Beziehungspflege und sind auch ein gutes Barometer, wie sich die EU positionieren wird.
In der Nachmittagssession wurden die Ergebnisse der ASW-Arbeitsgruppe vorgestellt und beschlossen, die bestehenden Quoten für die Ureinwohner in Alaska, Russland, Grönland und St. Vincent & Die Grenadinen zur Selbstversorgung für die nächsten sechs Jahre zu verlängern.
Tag 4: Gerüchte, Lügen und wenig klare Kante
24.09.2024 – Die Gerüchteküche brodelte bereits, bevor die Morgen-Session eröffnet wurde. Wird die Resolution zur Nahrungssicherheit zurückgezogen? Wie eng wird die Stimmverteilung? Könnte die Abwesenheit des slowenischen Delegierten das Zünglein an der Waage sein, wenn es voraussichtlich am Donnerstag zu den Abstimmungen über die Resolutionen kommt? Dies wäre besonders bitter, denn ein Scheitern der drei von der EU vorgebrachten Resolutionen läge auch in der Verantwortung ihrer eigenen unvollständigen Teilnahme.
In der Morgen-Session wurde es dann verwirrend bis hitzig. In der Vorstellung des Antrags für das Südatlantische Walschutzgebiet wetterte der Delegierte aus Gabun gegen diesen Vorschlag – und leugnete, dass Gabun offizieller Mitantragsteller sei – unglaublich! Denn brisanterweise konnte Brasilien ein Schreiben der gabunischen Regierung vorlegen, in der sie ihre Rolle als Mitantragsteller bestätigt! Damit folgt der Delegierte aus Gabun offensichtlich nicht der offiziellen Linie seiner Regierung. Und er ist dabei nicht allein…
Außerdem wurden heute die vorgeschlagenen Resolutionen vorgestellt. Während die Resolution der EU zu Aufrechterhaltung des Walfangmoratoriums viel Unterstützung aus dem Plenum erhielt und mit Monaco, Argentinien, Brasilien und Panama sogar zusätzliche Co-Sponsoren gewinnen konnte, trafen die Resolution zur Nahrungssicherheit und die zur Aufhebung des Moratoriums auf breite Ablehnung. Allerdings zeigten sich alle verhandlungsbereit, was dazu führte, dass vier der fünf Resolutionen an Arbeitsgruppen gegeben wurden. Diese sollen Versionen erarbeiten, die für alle Parteien akzeptabel sind. Dies erhöht sowohl die Chance, dass die Resolutionen aus dem Walfanglager doch noch so hingebogen werden, dass sie eine Mehrheit finden, als auch, dass die Resolution zur Aufrechterhaltung des Moratoriums aufgeweicht wird. Eine kleine Enttäuschung. Allerdings ist Pro Wildlife in zwei der Arbeitsgruppen vertreten und begleitet den Prozess genau.
Tag 5: Entwicklungen hinter den Kulissen
25.09.2024 – Außer der Diskussion über Tierwohlaspekte, zu der die NGOs eine Wortmeldung einbrachten, die das Leid der harpunierten Wale zur Sprache brachte, wurden heute im Plenum ansonsten eher verwaltungsrelevante Themen behandelt, wie die Verabschiedung des knappen Budgets sowie die Vorstellung und Verabschiedung verschiedener Berichte. Das Thema Kooperation mit anderen Organisationen nahmen wir zum Anlass, den dramatischen Umfang des Walfleischhandels von Norwegen und Island nach Japan von ca. 16.000 Tonnen seit 2002 zu kritisieren. Außerdem warfen wir ein Schlaglicht auf die immensen Diskrepanzen zwischen den Handelsdaten, die in den nationalen Statistiken einsehbar sind und denen, die die Staaten an CITES melden. Dieses Vorgehen unterminiert die Effektivität beider Organisationen.
In den Pausen zwischen den Sessions tagten seit gestern immer wieder die Arbeitsgruppen zu den Resolutionen. In diesen Verhandlungen hinter den Kulissen scheint sich bei den beiden Resolutionen aus dem Walfanglager zur Nahrungssicherheit und zur Aufhebung des Walfangmoratoriums abzuzeichnen, dass die Arbeit an den Entwürfen ‚intersessionally‘, also im Zeitraum bis zur nächsten Tagung, weitergeführt werden soll. Das würde bedeuten, dass diese beiden Resolutionen morgen nicht zur Abstimmung stehen würden. Einerseits würde uns das freuen, anderseits bedeutet das aber auch, dass nur noch die Resolutionen aus unserem Lager (alle eingereicht von der EU) zur Abstimmung stehen würden. Damit hätte das Walfanglager aus seiner Sicht nichts zu verlieren, wenn sie nicht zur Abstimmung erscheinen. Damit würde möglicherweise das Quorum verhindert und die Abstimmungen könnten platzen. Das einzige, was sich jetzt schon sagen lässt: Es wird verdammt knapp. Ein Krimi, wer und wie viele morgen bei der Abstimmung tatsächlich noch an ihren Plätzen sitzen…
Tag 6: Achterbahn der Gefühle
25.09.2024 – Die Morgensession stand zwar offiziell im Zeichen der Ergebnisse des Wissenschaftsausschusses, der über sein breites Arbeitsfeld berichtete, allerdings richtete sich alle Aufmerksamkeit der NGO-Community vor allem auf die anstehenden Abstimmungen am Nachmittag. Der Knackpunkt: Das Quorum, also die Beschlussfähigkeit. Es wurde kontinuierlich geschaut, gezählt und gerechnet, ob es reichen könnte, auch wenn die Walfangbefürworter nicht zur Abstimmungssession erscheinen würden. Gegen Mittag zeigte sich, dass die EU den Ernst der Lage erkannt hat und noch entsprechende Hebel in Bewegung setzte, zumindest einen der drei fehlenden EU-Delegierten noch auf die Tagung zu bekommen.
Nach der Mittagspause herrschten gemischte Gefühle: Erleichterung, da tatsächlich die rumänische Delegierte erfolgreich herbeordert worden war, aber auch ein flaues Gefühl, da Gerüchte die Runde machten, die EU könnte die Resolution zur Aufrechterhaltung des Moratoriums zurückziehen, um die anderen beiden wenig kontroversen Resolutionen zur Zusammenarbeit mit anderen Organisationen zu retten.
Im Laufe der Nachmittagssession bestätigte sich, dass das Walfanglager seine beiden Resolutionen zurückzieht und daran bis zur nächsten Tagung weiterarbeiten möchte. Diese Kühe waren zwar erst einmal vom Eis, werden aber sicherlich wiederkommen. In den Diskussionen über die Resolutionen vor der Abstimmung überraschte Walfangnation Island mit der Ankündigung, sich bei der Abstimmung über die Resolution zur Aufrechterhaltung des Moratoriums enthalten zu wollen. Eine weitere Überraschung erwartete uns, als es zur Abstimmung ging und sich unsere Sorgen bezüglich des Quorums als vollkommen unbegründet herausstellten: Alle – wirklich alle – saßen auf ihren Plätzen.
Das bedeutete einen Strategiewechsel der Walfangbefürworter. Denn vor der Abstimmung über die Resolutionen, die nur eine einfache Mehrheit benötigten, stand noch eine Abstimmung über die Einrichtung eines Walschutzgebiets im Südatlantik, das eine 2/3-Mehrheit erzielen musste. Hätten wir ein Quorum ohne sie zusammenbekommen, wäre das Schutzgebiet durchgegangen, weil alle Gegner abwesend gewesen wären. Daher blieben alle im Saal und diese Strategie ging leider auf: Das Quorum erreicht, aber das Schutzgebiet verpasst – um eine mickrige Stimme.
Die beiden Kooperationsresolutionen wurden anschließend reibungslos im Konsens verabschiedet (wie erwartet). Den erfreulichen Schlusspunkt der heutigen Achterbahnfahrt der Gefühle setzte dann die Abstimmung über die Resolution zur Aufrechterhaltung des Moratoriums, die mit einer 3/4-Mehrheit angenommen wurde – was für ein Erfolg begleitet von viel Erleichterung und Freude!
Hintergrundinformationen:
- Tagungs-Homepage der IWC
- der neue Bericht von Pro Wildlife zur weltweiten Jagd auf Delfine und Kleinwale
- Gemeinsames Briefing zum kommerziellen Walfang (PFD)
- Walfang in Island
- Walfang in Norwegen
- Walfang in Japan