Inhaltsverzeichnis:
Aquarium Gottes, See der Wunder, Lake of Stars: Der Malawisee (auch Njassasee) hat viele Spitznamen. Er ist 560 Kilometer lang, bis zu 80 Kilometer breit, bis zu 704 Meter tief und somit der neuntgrößte See der Welt. Außerdem ist er Heimat von seltenen Fischen – wie Buntbarsche, die der Handel für Aquarien ernsthaft bedroht.
Bereits seit mehr als einer Millionen Jahre ruht der tiefe See im Ostafrikanischen Grabenbruch und beherbergt geschätzt 700 bis 800 Arten an Buntbarschen (Cichliden). Genau weiß es niemand, denn der Artenreichtum ist so groß, dass er kaum zählbar ist. So einzigartig ist diese Wasserwelt, dass ein Teil des Sees zum UNESCO Weltnaturerbe erhoben wurde.
Die Buntbarsche des Malawisees sind zum Teil quietschbunt und nahezu alle gehören zu den Maulbrütern. Ihr Aussehen und ihre skurrile Brutpflege macht sie bei Aquarianern und Sammlern begehrt, die neben den bunten Fischen das fast außerirdische Aussehen der Gesteinsformationen im Malawisee nachzubauen versuchen. Wer viel Fantasie besitzt, könnte ganze Städte in die umgestürzten Felsformationen im See hineininterpretieren, um die die bunten Fische flitzen. Kunstvoll geformte Steine zieren auch Tausende Malawisee-Aquarien in deutschen Wohnzimmer, viele bestückt mit Wildfängen direkt aus Afrika.
An jedem Steinhaufen eine andere Art
Hunderte Arten und Unterarten der Buntbarsche sind sogenannte Endemiten, sie kommen nur im Malawisee vor. Viele sind sogar Punktendemiten und besiedeln zum Teil ein Gebiet nur so groß wie ein Fußballfeld. Die kleinen Steininseln im See sind Heimat für jeweils unterschiedliche Arten mit anderen Farben. Einige Arten sind sehr selten und viele noch gar nicht beschrieben; die Auswirkungen des übermäßigen Fangs sind kaum vorhersehbar. Und genau das ist das Problem: Händler weltweit bestellen bunte Arten und Unterarten, die die Menschen in Malawi aus dem See holen und international verkaufen. Regeln gibt es kaum. In der „Zeit“ gab der Besitzer einer der Farmen am See 2016 an, dass er allein 35.000 bis 40.000 Buntbarsche pro Jahr exportiert.
Malawi gehört zu den ärmsten Ländern der Erde, der Großteil der Menschen ist direkt oder indirekt auf den See angewiesen, aus dem sie auch Speisefisch als wertvolle Proteinquelle beziehen. Der Handel mit den Buntbarschen ist ein erträgliches Einkommen für die Menschen an den Ufern des Sees und so ist es nicht verwunderlich, dass das Geschäft floriert. Die Regierung hat bereits in den 70er Jahren erkannt, dass die Fischbestände für den internationalen Markt geplündert werden und errichtete daraufhin einen Nationalpark, der den Süden des Sees umfasst. Der Fang konzentrierte sich fortan auf die anderen Bereiche des Sees.
Am Schlauch in die Tiefe des Malawisees
Die Fischtaucher gehen einer gefährlichen Arbeit nach. Ihre Schatzjagd erledigen sie an Schläuchen, Kompressoren pumpen Atemluft nach unten. Modernes Tauch-Equipment? Fehlanzeige. Gemeinsam treiben die Taucher die Fische in ihre Netze und bringen sie dann an Bord der kleinen Boote. Von dort geht es in die Verpackungshallen und mit dem Flugzeug in die Aquarien weltweit. Wie viele Fische bei diesen Strapazen genau sterben, ist kaum abzuschätzen. Im Jahr 2000 veröffentlichte ein Zeuge in der Zeitschrift der Zoologischen Gesellschaft für Arten- und Populationsschutz einen Bericht über den Fang. Er schilderte, wie von 64 in seinem Beisein gefangenen Fischen nur sechs Tiere Fang und Transport in die Verpackungshallen überlebten.
Wie nachhaltig kann dieses Geschäft für die Fischbestände sein, wenn es von einigen Arten und Unterarten womöglich nur einige tausend Exemplare gibt und wenn niemand genau weiß, wie viele Arten und Unterarten es überhaupt gibt? Nachzuchten sind die natürliche Alternative, doch häufig stellen sie Aquarianer vor einigen Mehraufwand. Sie müssen sich mit Gleichgesinnten austauschen, um regelmäßig frisches Blut in die Zucht zu bekommen. Außerdem müssen sie für optimale Haltungsbedingungen sorgen. Viele Züchter werben mit Nachzuchten, andere bieten noch immer stolz Wildfänge an, die als farbenreicher gelten und deshalb begehrt sind.
Bedrohte Arten in europäischen Glastanks
An Farbenpracht und Vielfalt können es die Malawi-Buntbarsche fast mit den Korallenfischen aufnehmen; sie kommen leuchtend blau oder gelb-lila gestreift, rot mit weißen Punkten oder im schwarz-weißen Leopardenmuster daher. Dass für ihre Haltung jedoch wesentlich weniger Technik benötigt wird und sie deshalb viel günstiger ist als die Haltung von Meerwasserfischen, erklärt die immense Beliebtheit der Tiere im Handel. Der Heimtierhandel macht kein Hehl daraus, dass die seltenen Tiere Wildfänge sind: „Farbenprächtige Buntbarsche aus dem Malawisee in Afrika“ heißt es auf der Website eines deutschen Händlers.
Allein dieser eine Händler bietet mehr als hundert verschiedene Arten an, die wenigsten sind als Nachzucht deklariert. Die billigsten Arten sind bei diesem Händler schon ab 9,95 € zu haben, die selteneren Exemplare kosten bis zu 30 Euro pro Tier. Zu den teureren Arten gehören der königsblaue Aulonocara hansbaenschi und der türkis-gelbe Aulonocara steveni – kein Wunder: Beide sind in der Roten Liste als gefährdet (vulnerable) aufgeführt. Der erste, auch Kaiserbuntbarsch genannt, ist nur von vier Stellen im See bekannt, der zweite gar von nur einer Stelle, nämlich von der Mini-Insel Kande Island. Diese extrem kleinen Verbreitungsgebiete machen beide hoch anfällig für eine Übernutzung. Andere Händler verscherbeln selbst die gefährdeten Arten wie den Kaiserbuntbarsch oder den Demasons Maulbrüter (Chindongo demasoni) schon ab fünf Euro pro Tier. Die Folgen der Naturplünderung sind bereits deutlich: Seit Mitte der 1980er Jahre ist die Anzahl der Fischernetze auf das 50-Fache angestiegen, während die Fisch-Ausbeute deutlich zurückging. Bereits in den 1990er Jahren waren einige Bestände kollabiert, doch statt den Fang zu reduzieren, wichen die Fischer auf neue Mikro-Populationen aus.
Handel als Entwicklungshilfe?
Die Menschen in Malawi sind arm und so ist es nicht verwunderlich, dass der Handel mit Fischen und anderen Tieren als Beitrag zur Armutsbekämpfung diskutiert wird. Allerdings hat sich eine nachhaltigere Alternative etabliert, die den Artenreichtum des Landes nicht plündert, sondern ihn schätzt: Der Tourismus. Rund um den See haben sich Tauchbasen etabliert, die internationalen Gästen die Schönheit der Unterwasserwelt des Sees näher bringen.
Auch über Wasser gibt es genug zu entdecken und das Land versucht im Moment, seine leer gewilderten Nationalparks wieder zu beleben. 2016 kamen fast 850.000 Urlauber ins Land, Tendenz insgesamt steigend. Natürlich gibt es auch hier Herausforderungen, der erhöhte Wasserverbrauch beispielsweise und die allgemein unzureichend ausgebaute Infrastruktur. Doch nachhaltig betrieben kann der Tourismus als Alternative dienen und der Welt die Schönheit des Aquariums Gottes zeigen, ohne sie zu zerstören.
Autorin: Sandra Henoch
Veröffentlicht am: 24. Juli 2018