Weltmeere so warm wie noch nie

Meeresarten verschwinden schneller als Tiere an Land

Weltmeere so warm wie noch nie

Nicht nur auf der Erde wird es immer wärmer. Die zentrale Folge des Klimawandels trifft insbesondere die Weltmeere, weil sie den größten Anteil der Hitze aus der Atmosphäre absorbieren.

Wer das Klima der Erde verstehen will, muss sich die Erwärmung der Ozeane genauer anschauen. Laut der renommierten Plattform Climate Reanalyzer (University of Maine) stieg die Oberflächentemperatur der Meere weltweit allein von März bis Juli 2023 – also innerhalb von nur vier Monaten – im Mittelwert um fast 0,2 Grad Celsius. Für Ozeane ist das eine riesige Abweichung, denn dahinter stecken gigantische Energiemengen. Bis in den Sommer 2024 legte diese Entwicklung noch weiter zu.

Temperaturen an der Meeresoberfläche

Gemessen werden die Werte die US-amerikanische Wetter- und Ozeanographie-Behörde NOAA. Das Institut legt seit 1981 u.a. mit Hilfe von Satelliten und Bojen Messreihen mit den täglichen Oberflächentemperaturen der Weltmeere vor. Der daraus errechnete Mittelwert gilt als globaler Seismograph und der zeigt eine besorgniserregende Entwicklung: Die Weltmeere sind 2023 und 2024 im Durchschnitt so warm wie noch nie seit Beginn der Messungen in den 1980er Jahren. Die höchste Abweichung wurde mit 0,77 Grad Celsius im Januar 2024 gemessen:

Monthly Sea Surface Temperature NOAA
Monatliche Oberflächentemperaturen der Weltmeere. Quelle: Climate Change Institute, University of Maine

Höchste Wassertemperatur seit 400 Jahren am Great Barrier Reef

2024 meldet auch ein australisches Forscherteam einen neuen Höchstwert am Great Barrier Reef. Nie in den vergangenen 400 Jahren war es dort so warm wie in diesem Jahr. Das berühmteste Korallenriff der Erde stirbt langsam ab.

Wie Meeresbewohner leiden

Lebewesen in den Meeren sind hitzeempfindlicher und leiden stärker unter dem Klimawandel als die Tier- und Pflanzenwelt an Land. Bei vielen Organismen im Meer ist die Wassertemperatur die Körpertemperatur. Schon ein halbes Grad Celsius kann den Tieren Probleme bei der Nahrungssuche oder bei der Fortpflanzung bereiten.

Hinzu kommt, dass wärmeres Wasser weniger Sauerstoff speichert. Die großen Mengen an CO2 reagieren mit Wasser und bilden Kohlensäure. Temperaturanstieg, Sauerstoffknappheit und Übersäuerung verstärken sich somit gegenseitig und schränken den Lebensraum der Meerestiere immer weiter ein.

In den wärmeren Bereichen der Verbreitungsgebiete der Meerestiere sind schon mehr als die Hälfte der Arten aus ihrem ursprünglichen Gebiet verschwunden. Es drohen marine Ökosysteme zusammenzubrechen. Große Meerestiere wie Haie oder Meeressäuger sowie Arten in den Tropen, wo viele Arten bereits an der Obergrenze ihrer Wärmetoleranz leben, und in Küstenregionen – wo Verschmutzung und Fischerei zusätzlich belasten – sind am stärksten betroffen.

Große Meerestiere wie Wale, Haie oder Delfine sind von der Erhitzung der Weltmeere am stärksten betroffen

Migration einzelner Arten: Wer kann, schwimmt weg

Abertausende Arten wandern durch die Ozeane, auf der Suche nach neuen Lebensräumen. Fische weichen in kühlere Meeresregionen aus – nicht nur mit Folgen für die Nahrungskette. Die Wechselwirkungen von eingesessenen und neu eingewanderten Arten können Ökosysteme potenziell massiv stören.

Aber wohin können Arten in den Polargebieten noch ausweichen und wie sollen festsitzende Korallen diese Hitze überleben?

Wenn die Weltmeere weiter erhitzen, wird es dieses Ökosystem bald nicht mehr geben: Korallenriff vor der indonesischen Insel Sulawesi © johnandersonphoto
Korallenriff vor der indonesischen Insel Sulawesi © johnandersonphoto

Auswirkungen auf einzelne Meerestiere, Nahrungsketten und ganze Ökosysteme

  • Die größte von Lebewesen geschaffene Struktur der Erde – das Great Barrier Reef – war allein in den letzten sechs Jahren viermal von einer Korallenbleiche betroffen. Im März 2024 wurde das fünfte Massenbleiche-Ereignis bestätigt.
    Ab 30 Grad Celsius fangen Korallen an, zu bleichen und abzusterben, also eine hitzebedingte Stressreaktion. >> mehr Informationen zu Korallenbleiche

    Korallenbleiche Stresslevel weltweit 2024
    Unterschiedliche Stresslevel für Korallen, gemessen am 21. April 2024. Quelle: NOAA

    Daily Global 5km Satellite Coral Bleaching Heat Stress Alert Area, 21.8.2024
    Mit der Sonne gewandert: Stresslevel für Korallen, gemessen am 21. August 2024. Quelle: NOAA
  • Zwischen 2014 und 2016 wurden unzählige tote Seevögel an Stränden zwischen Kalifornien und Alaska angespült. Massiver Nahrungsmangel infolge hoher Meerestemperaturen ließ in der Region bis zu eine Million Trottellummen verhungern. (Quelle: PLOS ONE)
  • Ein oft zu beobachtender Effekt der Meereserwärmung ist, dass die Bewohner kleiner werden. Zum Beispiel das Phytoplankton. Es besteht v.a. aus winzigen Einzellern. Phytoplankton ist die Grundlage vieler Nahrungsnetze und wird vor allem von Zooplankton, aber auch Muscheln gefressen. Deren Fresswerkzeuge sind oft an bestimmte Größen des Phytoplanktons angepasst und kommen mit kleineren Zellen nicht zurecht.
  • Fast drei Viertel der Brutkolonien von Papageienvögeln könnten bis Ende des Jahrhunderts in Folge der Erderhitzung verloren gehen (Quelle: ZSL). Papageientaucher ernähren sich vor allem von kleinen Fischen wie Sandaalen. Wegen des Temperaturanstiegs sind die Sandaale aber ihrer wichtigsten Nahrungsquelle, dem Zooplankton, nach Norden hinterhergezogen.
    Papageientaucher

  • Juni 2023: Forellen, Welse, Stachelrochen, Barsche und vor allem die für die Fischerei wichtigen Menhaden – Zehntausende tote Fische sind an der texanischen Golfküste angeschwemmt worden. Die Kadaver bedeckten einen elf Kilometer langen Uferabschnitt (Titelbild). Warmes Wasser enthält weniger Sauerstoff, ein wolkenbedeckter Himmel und ruhiges Meer verstärkten diesen Effekt. Die Folge: Die Fische sind erstickt.
  • Juli 2023: An der Ostküste von Uruguay wurden etwa 2.000 tote Pinguine gefunden, ohne Fettreserven und mit leeren Mägen. Eine wichtige Nahrungsquelle für sie ist der Krill. Aber der weicht seit Jahren in kältere Gebiete aus, immer weiter polarwärts.

Falls die Erderwärmung nicht deutlich gebremst wird, könnte bis 2100 die Hälfte aller marinen Arten jeweils die Hälfte ihres Lebensraums verlieren, wie eine kürzlich im Fachjournal Global Change Biology erschienene Studie zeigt.

Das Mittelmeer: zu warm und zu salzig

Im Juli 2023 veröffentlichten Forschende des spanischen Meeresforschungsinstituts ICM-CSIC in der Zeitschrift Journal of Marine Science and Engineering die Ergebnisse ihrer 30 Jahre langen Untersuchung in allen Wassertiefen: Das Wasser erwärmt sich mit einer Geschwindigkeit von etwa zwei Grad je 100 Jahre im westlichen Mittelmeer. An einigen Stellen wie bei L’Estartit an der Costa Brava erhitzt es sich sogar um drei Grad pro Jahrhundert. Durch die Verdunstung kommt es zu höherem Salzgehalt. Beides gefährdet die Artenvielfalt im Mittelmeer. Heimische Arten wie der Adriatische Stör (Acipenser naccarii) sind vom Aussterben bedroht. Auch bei Muscheln oder Moostierchen konnte man bei früheren Hitzewellen ein Massensterben im Mittelmeer beobachten.

Muscheln an der Küste Apuliens © Spirins
Muscheln an der Küste Apuliens © Spirins

Und der Mensch macht einfach weiter?

Laut Internationaler Energieagentur (IEA) waren 2022 die weltweiten energiebedingten CO2-Emissionen auf einem historischen Höchststand. Wenn wir es nicht schaffen, die Treibhausgasemissionen drastisch zu senken, prognostizieren Forschende eine Erwärmung der Weltmeere bis 2090, die viermal so stark ausfällt wie aktuell. (Quelle: Nature)

Überfischung

Neben der Erderwärmung setzen auch Verschmutzung und Überfischung der Meere vielen Arten zu. Stress und unnatürlich kleine Populationen als Folge der Überfischung führen zu einer geringeren Anpassungsfähigkeit betroffener Arten. Eine Reform der Fischereipolitik ist dringend nötig. Genauso ist jede Förderung von Subventionen, die die Kapazitäten industrieller Fangflotten steigern, endgültig zu stoppen.

Verschmutzung

Jede Minute landet eine Müllwagenladung voll Plastik in den Ozeanen der Welt. Wenn unser Plastikkonsum ungebremst voranschreitet, befinden sich im Jahr 2050 mehr Kunststoffteile als Fische im Meer.

Tiefsee-Bergbau

Mangan, Eisen und Kobalt: Rohstoffvorkommen in 2.000 bis 6.000 m Tiefe sollen nun unseren wachsenden Bedarf an mineralischen Rohstoffen decken. Einzigartige Lebensräume und seltene Arten stehen dabei auf dem Spiel. Denn der Tiefsee-Bergbau trifft eine viel größere Fläche als der an Land.

Zum Vergleich: Die größte Kohlemine in Deutschland ist weniger als halb so groß wie die Fläche, die in der Clarion-Clipperton-Bruchzone (Zentralpazifik) innerhalb eines Jahres von einem einzigen Unternehmen nach Mangaknollen abgebaut werden würde. Die Knollen sind in einer dünnen Schicht unterhalb des Meeresbodens konzentriert – nur 10 cm tief. Es geht also um die Abtragung des Meeresbodens von vielen tausend Quadratkilometern.


Weitermachen wie bisher ist keine Option. Die Gesundheit der Ökosysteme, von der Tiere wie Menschen abhängen, verschlechtert sich immer schneller. Wir zerstören so das Fundament unserer Gesundheit und Lebensqualität, Ernährungssicherheit und Existenzgrundlagen.

Autorin: Natalie Kämmerer
Veröffentlicht am: 27. Juli 2023
Aktualisiert am: 23. August 2024

Mehr zum Thema